DAS MOTTENLEBEN

Mein Kloster liegt in einer ländlichen Bergregion mit vielen Bäumen, Felsen und Höhlen. Dadurch ist die wilde Natur noch erhalten. Die meisten von ihnen sind Bergkaninchen. Sie sind winzig und haben graubraunes Fell, das nicht so schön ist wie das reinweiße Fell von Hauskaninchen. Auch die Eichhörnchen sind winzig, sie haben lange, lockige Schwänze und flauschiges, goldbraunes Fell. Obwohl beide Tiere klein sind, gibt es einen Unterschied: Kaninchen haben zwei hochstehende Ohren und einen kurzen Schwanz. Eichhörnchen haben dagegen keine aufrechten Ohren, sondern nur einen wedelnden Schwanz.
Jeden Morgen sehe ich, wie sie hin und her rennen, die Köpfe heben und heimlich die Blätter der Zierpflanzen fressen, die ich gepflanzt habe.
Es ist Sommer und heiß. Mittags klettert das Thermometer manchmal auf bis zu 32 Grad Celsius. Zu dieser Zeit gibt es viele Fliegen, Mücken und Stechmücken. Wenn man unachtsam ein- und ausgeht, versuchen sie, ins Haus zu fliegen, obwohl die Tür ein Fliegengitter hat. In das geräumige Büro fliegen sie jedoch nicht hinein. Aber nachts, wenn ich mein Zimmer betrete und das Licht sowie die kleine Lampe auf dem Schreibtisch anschalte, höre ich nach einer Weile die Mücken summen. Es ist leicht, Mücken zu vertreiben. Ich mache das Licht draußen an und das Licht in meinem Zimmer aus. Dann öffne ich die Tür weit. Nach kurzer Zeit folgen die Mücken dem Licht und fliegen nach draußen. Manchmal sind es auch Motten, die unbemerkt ins Haus fliegen. Motten unterscheiden sich von Mücken: Sie haben zwei breitere Flügel und ihre Fluggeräusche klingen anders. Wenn ich bemerke, dass Motten direkt in die Glühbirne fliegen, schalte ich das Licht sofort aus. Sonst werden sie sterben, wenn sie gegen die heißen Glühbirnen fliegen. Gleichzeitig mache ich das Licht draußen an, um sie nach draußen zu locken. Mücken sind einfach schlauer. Sie fliegen nur um die Lampe herum und warten auf die Gelegenheit, mich anzugreifen. Sie fliegen nicht in die Glühbirne hinein. Wahrscheinlich wussten sie, dass sich darin kein Blut befindet!
Wir nennen sie die Motten „selbstverbrennende Insekten“, weil sie direkt ins Licht fliegen und tot zu Boden fallen, sobald sie die heiße Glühbirne berühren. Ich frage mich, welcher Instinkt sie dazu treibt und warum sie vom Licht angezogen werden. Warum fliegen sie immer wieder in die Glühbirne, obwohl sie sehen, wie andere Motten dabei ums Leben sterben?
Wenn wir über uns selbst nachdenken, meine lieben Freunde, dann erkennen wir vielleicht, dass wir Menschen den Motten manchmal nicht unähnlich sind. Aber wir sind noch am Leben, da wir erwacht sind. Wir fliegen nicht wie diese Motten in den Tod.
Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ich einen persönlichen Brief für Verliebte las, die kurz vor der Hochzeit standen. Der Brief stammte aus einer mir unbekannten Quelle. Der Brief schien lang und voller Ratschläge zu sein, doch er bestand nur aus drei Worten, die so scharf wie eine Klinge waren: „Heiratet nicht!“ Es ist das scharfe Prajña-Schwert, das Schwert der Weisheit. Fabelhaft und wunderbar!
Die jüngere Generation scheint bei der Suche nach ihrem Partner sehr vorsichtig zu sein. Viele von ihnen – Männer wie Frauen – sind selbstbewusst und können unabhängig leben. Sie halten eine Heirat für nicht mehr notwendig.
Diese Sichtweise unterscheidet sich grundlegend von der der vorherigen Generation. Sobald die Kinder erwachsen waren, suchten ihre Eltern für sie einen geeigneten Lebenspartner. Heiraten war eine gesellschaftliche Tradition. Wer nicht verheiratet war, wurde von der Gesellschaft ausgegrenzt und missachtet.
Die Generation davor war noch strenger und eine Ehe konnte viel Leid verursachen. Eltern zwangen ihren Kindern die Wahl des Ehepartners auf, und die Kinder mussten gehorchen. Aber lassen wir diese traurigen kulturellen Angelegenheiten beiseite.
In einem zuvor geschriebenen Artikel kam ich zu folgendem Schluss: „Eine der gefährlichsten Entscheidungen im Leben ist die Wahl des falschen Lebenspartners, da dies drei Generationen Leid zufügen kann: unseren Eltern, uns selbst und unseren Kindern. Ich möchte dem oben zitierten Ratschlag nun hinzufügen: „Bitte heiraten Sie nicht.“
Heiraten? Wenn die Familie später zur Hölle wird, stellt sich die Frage, ob es Sinn macht, zu heiraten und sich damit einer lebenslangen Haftstrafe gleichzusetzen.
Ist es gut oder schlecht, eine harmonische Ehe zu führen? Selbst wenn sich beide während der gesamten Ehezeit so lieben, wie sie es sich bei der Hochzeitszeremonie gewünscht haben, sind sie in dem Gefängnis dieser Liebe eingesperrt – in diesem und im nächsten Leben, wenn „die Liebe tausend Jahre dauern könnte“.
Im Grunde genommen sind wir wie die Motten: So sehr, wie wir die Motten lieben, so sehr lieben Buddha und die Patriarchen uns.
Die Menschen eilen unaufhörlich dem Tod entgegen, von diesem Leben zum nächsten, wiederholen dabei immer wieder denselben Wunsch, und mit der Zeit wird dieser Wunsch zu einer Verunreinigung, dann zu einem Instinkt, zu einer Handlung ohne nachzudenken, bis zu dem Punkt, an dem Buddha sagte: Das Meer besteht aus Tränen, die Berge und der Boden aus den Knochen unzähliger Menschenleben.
Der Buddha sagte auch, dass jeder in unzähligen Leben Vater, Mutter, Großvater, Großmutter, Kind, Enkel, Bruder oder Schwester war. Ein Leben in Reinheit bedeutet demnach, ehelos zu leben. Nur so kann man das Seil der Liebe durchtrennen und den Kreislauf der Wiedergeburt beenden.
Die Lektion der Befreiung wurde uns durch diese arme Motte in Erinnerung gebracht.
Sunyata Zentrum, den 01- 07- 2021
TN
Link zum vietnamesischen Artikel: https://tanhkhong.org/a2536/triet-nhu-snhp014-kiep-thieu-than
