FUSSSPUREN IM SAND
Heute ist in den USA und in Europa der dritte Tag des neuen Jahres. Anders als in Vietnam, beginnt das neue Jahr hier im Winter. In Australien ist es sogar Sommer. Egal, heute feiern wir das neue Jahr mit einem frisch gebackenen Kuchen.
Dieser Kuchen ist ein magischer Kuchen, weil er plötzlich da ist, als hätte ihn eine Fee herbeigezaubert. Ich nenne ihn „Meditationskuchen“.
Um einen Kuchen zu backen, braucht man 3 Dinge: Mehl, Zucker und Milch. Genauso braucht man für die Meditation 3 Dinge: Verhaltensregeln, Samadhi und Weisheit. Zuerst gibt man die Zutaten in einer bestimmten Menge in die Schüssel, dann mischt man sie und knetet sie. So hat uns auch Buddha gelehrt: Zuerst die Lehre studieren, überzeugen und dann praktizieren.
Auch das Studieren des Dharma muss mit Weisheit geschehen, d.h. in der richtigen Weise. Der Buddha lobte oft die Tugend, belesen zu sein und viel vom Buddha selbst oder von den großen Schülern in der Sangha zu hören.
Regelmäßiges Hören von Dharma-Vorträgen hilft, die Unterweisungen im Geist zu verankern, um nicht falsch zu praktizieren. Wenn man viel zuhört, erlangt man Weisheit, man versteht die Gesetze, die die Welt regieren, und der Geist ist weniger an die Welt gebunden. Häufiges Hören des Dharma ist der richtige Weg, um ein kultiviertes Leben zu beginnen.
Der Buddha lehrte, dass es drei Menschen in der Welt gibt. Welche drei? Einen mit verkehrter Weisheit, einen, der die Weisheit auf dem Schoß trägt und einen, der die Weisheit verbreitet.
Und wer ist die Person mit der verkehrten Weisheit? Das ist ein Mensch, der ins Kloster geht, um die Lehre des Buddhas zu hören. Aber wenn er von seinem Sitz aufsteht, hat er alles vergessen. Das ist so, wie wenn man einen Topf mit Wasser umstößt, das Wasser läuft heraus und bleibt nicht stehen. Das nennt der Buddha einen Menschen mit verkehrter Weisheit.
Und wer ist der Mensch mit der Weisheit auf dem Schoß? Das ist ein Mensch, der ins Kloster geht, um die Lehre des Buddhas zu hören. Aber wenn er sich von ihrem Sitz erhebt, hat er alles vergessen. Es ist wie bei einer Person, die verschiedene Arten von Essen auf ihrem Schoß hat, so dass, wenn sie ohne Achtsamkeit von ihrem Sitz aufsteht, alles verstreut wird. Das ist es, was Buddha einen Menschen mit Weisheit auf dem Schoß nennt.
Und wer ist die Person mit der weiter verbreiteten Weisheit? Es ist eine Person, die oft ins Kloster geht, um die Lehrreden des Buddhas zu hören. Während diese Person dort sitzt, richtet sie ihren Geist auf den Anfang, die Mitte und das Ende der Rede. Und wenn sie sich von ihrem Sitz erhebt, richtet sie ihren Geist weiterhin auf den Anfang, die Mitte und das Ende der Rede. Das ist es, was Buddha eine Person mit der rechten Weisheit nennt.
Weisheit durch Hören der Lehre. Weisheit durch Überzeugung der Lehre und Weisheit durch Übung der Lehre. Kurz: Nur mit Weisheit übt man richtig. Weisheit ist also Ursache und Wirkung zugleich.
Ein Kuchen, der nur aus Mehl und Zucker besteht, wird nicht locker und luftig. Um einen guten Kuchen zu backen, brauchen wir also noch die Eier. Genauso brauchen wir in der Meditation die Kontemplation (Anupassanā).
Es gibt 3 Arten von der Kontemplation:
- Drei Dharma-Siegel {Trilaksana (skt)—Tilakkhana (p)}: 1) Vergänglichlkeit {Anicca (p)} 2) Leid {Dukkha (p)} und 3) Nicht-Selbst{Anatta (p)} oder Substanzlosigkeit. Diese Technik nennen wir Anupassanā.
- Die vier Unermesslichen {Catvari apramanani}: Barmherzigkeit {maitri (S}, Mitgefühl {karuna (S), Mitfreude {Muditā (S) und Gleichmut {Upekkhā (P); Upekṣā (S). Diese Technik nennen wir spirituelle Kultivierung {Bhāvanā (P; S)}
- Parikṣā: Experiment. Beobachtung der zwölfgliedrigen Kette; der Kausalität und des bedingten Entstehens.
In unserer Kultivierungsübung gibt es die Kontemplation. Kontemplation (Anupassanā) bedeutet, die Phänomene mit Weisheit zu betrachten, zu reflektieren, zu argumentieren und mit Sutra-Pitaka oder mit wissenschaftlichen Experimenten oder mit eigenen Erfahrungen zu vergleichen, um zur rechten Wahrnehmung zu gelangen. Die rechte Wahrnehmung führt zur rechten Gesinnung (Einsicht) und schließlich zur rechten kognitiven Erkenntnis und zur rechten Erlösung Mukti (S), Mutti (P). Kontemplation ist daher nicht weniger wichtig als die Gebote, Samadhi oder Weisheit.
Manchmal gibt man noch etwas Kokosmilch in den Teig, damit der Kuchen vollmundiger wird. In der Meditation haben wir die Technik des Samatha (Ruhe, Gelassenheit). Der Geist ist weniger abgelenkt. Er schwankt nicht mehr so stark zwischen Freude und Trauer (Samatha). Nur so können wir unsere Verhaltensregeln (Gebote) einhalten, unerschütterlich bleiben (Samadhi) und das Leben objektiver wahrnehmen (Weisheit). Und durch die Praxis der Einhaltung der Gebote, Samadhi und Weisheit haben wir einen ruhigeren und friedvolleren Geist. Deshalb können wir auch sagen, dass Samatha sowohl die Ursache als auch das Ergebnis von Geboten, Samadhi und Weisheit ist.
Jetzt machen wir den Teig. Zuerst schlagen wir die Eier in einer Schüssel schaumig. Dann geben wir etwas Mehl und Zucker in die Schüssel und rühren so lange, bis sich das Ei mit der Mehl-Zucker-Mischung verbunden hat, dann geben wir je nach Geschmack etwas Kokosmilch oder Vanillezucker dazu und gießen den Teig in die Form und so weiter. Genauso ist es mit der Kultivierung: fleißig den Dharma hören oder lesen, dann fleißig praktizieren, um die Phänomene objektiv so wahrzunehmen, wie sie sind. Jeden Tag Fortschritte machen. Geduld, Fleiß und Ehrlichkeit mit sich selbst sind wie gute Zutaten für einen Kuchen.
Auch beim Backen darf die Temperatur im Ofen nicht zu hoch oder zu niedrig sein. Sonst geht der Kuchen nicht auf oder verbrennt. Die Temperatur muss genau nach Rezept eingestellt werden.
Das ist der Mittelweg, den uns Buddha gelehrt hat. Leben und Praxis müssen im Einklang sein. Sonst besteht die Gefahr, dass wir zu sehr an etwas hängen oder exzentrisch werden.
Zum Beispiel: Dharma studieren ist gut. Aber wenn wir nur Dharma studieren, ohne zu praktizieren, dann sind wir nur Theoretiker. Oder wir besuchen verschiedene Lehrer an verschiedenen Orten, hören verschiedene Vorträge von ihnen. So dass wir nicht mehr unterscheiden können, was richtig und was falsch ist. Oder wir wollen einfach nur meditieren. Wir wollen keine Theorie hören. Dann kann es sein, dass wir nicht merken, dass wir falsch praktizieren.
Zum Beispiel: Um Fortschritte zu machen, sitzen wir trotz Schmerzen stundenlang in Meditation, wodurch das sympathische Nervensystem aktiviert wird (das Herz schlägt schneller als normal, Schweißausbrüche usw.), oder wir treffen uns nur zum Spielen, zum Feiern. Wir lassen uns von der Umgebung beeinflussen, anstatt in Achtsamkeit zu leben.
Der Weg der Mitte ist ein Weg der Lebenskunst. Wir leben in Harmonie mit allen, wir passen uns allen Lebensumständen an. Voraussetzung dafür ist, dass wir Weisheit besitzen. Wenn wir uns jedoch strikt an eine Regel halten und glauben, dass es nur so richtig ist, dann sind wir vielleicht zu subjektiv oder zu eigensinnig.
Der Mittelweg bedeutet also auch, sich an nichts zu binden, sich auf nichts zu stützen.
Jetzt ist der Kuchen fertig. Wir können ihn essen. Liebe Freunde, ihr habt mich um ein Backrezept gebeten und ich habe es euch gegeben. Hätte ich diesen Kuchen in einer Bäckerei gekauft, hätte ich euch nicht sagen können, wie man einen Kuchen backt. Es ist also eine Fähigkeit, die aus der Praxis kommt. Man kann sagen, dass diese Fähigkeit sozusagen unsere eigene Erfahrung ist. Sie ist nicht außerhalb unserer Reichweite. Wenn wir diese „Fähigkeit“ nicht haben, bedeutet das, dass wir noch keine Erfahrung in der Praxis gemacht haben, dass wir noch keine Weisheit erlangt haben.
Zu Beginn des neuen Jahres schenke ich euch einen Medi-Kuchen. Ob er süß oder fade ist, hängt davon ab, ob ihr den Winter als Winter empfindet oder ob ihr im Winter den Frühling seht. Bevor wir den Kuchen anschneiden, singen wir gemeinsam das Lied: Auld Lang Syne
"Should all acquaintances be forgot and never brought to mind,
Should all acquaintances be forgot for auld lang syne
For auld lang syne my dear for auld lang syne
We’ll take a cup of kindness yet for auld lang syne”…
Sollt' Freundschaft denn vergessen sein und ihrer nie wieder gedacht?
Vertrautheit sollt' vergessen sein und alte Zeiten nicht wieder bedacht?
Auf alte Zeiten, mein Lieber, auf die gute, alte Zeit,
Lass uns auf die Freundschaft trinken, auf die gute, alte Zeit.
Mit diesem Lied beende ich die Reihe „Der Gesang aus dem Himmels“. Aber solange ich lebe, werde ich singen. Ich singe, um eine Spur zu hinterlassen, wie wenn ich über den Sand gehe, ich hinterlasse meine Fußspuren, wie die Fußspuren am Strand von Tuy Hoa an jenem Tag, schwankende Fußspuren, die sich in den goldbraunen Sand drücken, nur für einen Augenblick, die weißen Wellen plätschern herein, dann ziehen sie sich ins Meer zurück, nichts bleibt zurück, der Sand ist flach, die Fußspuren verschwunden. Ich ging weiter, hinterließ wieder Fußspuren im Sand, dann kamen die Wellen zurück, der Sand war wieder flach, und ich ging weiter, für immer allein, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Meditationshaus Chan Nhu, den 03- 01- 2025
TN
Link zum vietnamesischen Artikel: https://tanhkhong.org/p105a4534/triet-nhu-dau-chan-tren-troi-cat-bai-1-dau-chan-tren-cat