DAS KAMINFEUER
In diesem Jahr habe ich im Mai drei Meditationsseminare in Europa gegeben. Das erste fand in Paris statt. Am Ende des Seminars wurden Mönch Quang Dung und ich am nächsten Montag von Quang Khong und Quang Dinh in Paris abgeholt und nach Deutschland gefahren, da das nächste Seminar in Berlin stattfand. Nach Beendigung des Seminars in Berlin flog ich nach Frankfurt, um das Seminar in Schenkenzell vorzubereiten. Dieses findet von Donnerstag bis Samstag statt. Anschließend werde ich einen Vortrag für das Vesak-Fest im Linden-Museum halten, das von internationalen buddhistischen Vereinen organisiert wird.
Ich habe also zwei freie Tage in Schenkenzell. Heute Nachmittag werden einige Seminarteilnehmer ankommen.
Schenkenzell ist ein kleines Dorf in einer hügeligen Gegend. Der Weg dorthin schlängelt sich durch diese Landschaft, in der auf den Felsen viele grüne Bäume wachsen. Überall sind Tannenbäume zu sehen. Ihre dünnen Stämme wachsen gerade nebeneinander und strecken sich nach oben, um das schwache Sonnenlicht im Mai zu empfangen. Wie können sie auf diesen Felsen wachsen? Zigtausende dieser Tannenbäume verhindern, dass das Sonnenlicht die Straße erreicht. Deshalb heißt die Gegend Schwarzwald (Black Mountains). In Australien gibt es ebenfalls Black Mountains, die von Eukalyptusbäumen gesäumt sind.
Dieses Meditationshaus wurde vor langer Zeit von einer kleinen buddhistischen Gemeinschaft in Stuttgart erworben und von unserem Zen-Meister den Namen „Sunyata” erhalten. Es liegt bescheiden neben einer Straßeneinmündung vor einer grünen Hügelkulisse, die von vollen, grünen Tannenbäumen umgeben ist.
Auch die Avalokiteshvara-Statue, die über das Dach des Meditationshauses hinausragt, ist von gelben Blüten umgeben. Vor dem Haus fließt ein kleiner Bach, der das ganze Jahr über Wasser führt. Ich wagte es jedoch nicht, zum Bachufer hinabzusteigen, da dort so viele Unkräuter wuchern.
Mitte Mai ist jetzt. Es ist noch Frühling und morgens ist es frisch. Ich habe bis Mittag gewartet, denn dann ist es wärmer, wenn die Sonne scheint. Dann habe ich einen Spaziergang gemacht. Ich muss jedoch immer eine warme Jacke und eine Mütze tragen. Auch im Haus.
Im Erdgeschoss befinden sich die Küche, das Esszimmer und einige Schlafzimmer. Im Obergeschoss gibt es ebenfalls einige Schlafzimmer. Ganz oben liegt der große Gebetsraum.
Alle Zimmer sind mit einem Heizkörper ausgestattet. Am besten gefällt mir der Kamin, den KL im Erdgeschoss gebaut hat. KL ist über 70 Jahre alt. Trotz seines Alters ist er noch kerngesund und gelenkig. Er kam öfter vorbei, um sich um das Meditationshaus zu kümmern. Er erledigt alle anfallenden Arbeiten – von der Gartenarbeit bis zur Inneneinrichtung – und das bei jeder Wetterlage. Vor einigen Jahren hat er Zuflucht zu Buddha genommen und den Namen Tâm Minh erhalten. Ich habe diesen Namen ausgewählt, weil er nicht schwer auszusprechen ist.
Er wurde darüber informiert, dass der Sangha hierherkommen würde, weshalb er bereits ein paar Tage vorher hier war, um alles in Ordnung zu bringen. Danke, meditierender Freund.
Als ich heute Morgen das Esszimmer betrat, war der Kamin bereits angezündet. Ich trat näher an ihn heran, um meine Hände zu wärmen. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass jemand einen Stuhl hinter meinem Rücken hingestellt hatte. Ich setzte mich darauf und sah, wie Tâm Minh dem Mönch Quang Tien in der Küche half. Dann legte Tâm Minh noch ein Stück Holz in den Kamin. Das Feuer brannte höher und größer. Ich fühlte mich etwas wohler und ausgelassener.
Mehrere Feuer brannten nacheinander auf und flackerten. Einige loderten hoch auf und fielen dann blitzschnell herunter, andere flackerten zunächst am Boden, sprangen dann hoch, schlugen ineinander über und verschwanden. Plötzlich erschien eine neue Flamme, die tanzte und sich in eine andere verwandelte. Ein Feuer oder viele Feuer? Ich weiß es nicht.
Keine von ihnen ist wie die andere. Kein Moment gleicht dem anderen. Sie alle haben eine glänzende, goldene Spitze. Warum sagen wir dann aber oft „rosa Feuer” oder „rotes Feuer”?
Ich sitze hier, beobachte das Feuer im Kamin und genieße die Stille. Heute sehe ich erst, wie schön Feuer sein kann. Es gibt keinen schöneren Tanz. Das Ganze war ein kühles, sanft schimmerndes Goldgelb, das flatterte, sich überlagerte, ineinander aufging, sich dann plötzlich trennte und wieder flatterte. Es tanzte ohne Unterbrechung und ohne jede Unbeholfenheit und wurde nicht müde. Vermutlich gibt es keinen Tanz, den Menschen so schön ausführen können.
Plötzlich merkte ich etwas Ungewöhnliches: Im Kamin wehte kein Wind – warum zappelte das Feuer dann ständig?
In der Pagode in Kalifornien arbeite ich meistens im Esszimmer im Erdgeschoss. Es ist groß und von Glasfenstern umgeben. Ich suche mir immer eine Ecke, von der aus ich einen freien Blick in den Garten habe. Ganz hinten stehen der Tannenbaum und der Pfefferbaum. Danach kommt der blaue Himmel. Direkt vor dem Zimmer steht ein alter, großer Pfefferbaum. Sein Stamm ist so dick, dass ihn wohl zwei Personen umarmen müssen. Seine Rinde ist dunkelbraun und von warzigen Höckern bedeckt. Er ragt über das Dach der Pagode hinaus. Seine Zweige und Blätter sind jedoch weich und schlank und hängen schwankend herab. Im verregneten Frühling tragen sie viele Büschel kleiner, grüner Blüten. Auch diese schwanken. Schon beim Betrachten der Blätter und Blüten des Pfefferbaums kann man erkennen, aus welcher Richtung und mit welcher Stärke der Wind weht. Eine leichte Brise lässt alle Zweige und Blätter der Zierpflanze vibrieren. Es scheint, als vibrierten die Zweige und Blätter des Pfefferbaums etwas stärker als die anderer Zierpflanzen. Im gleichen Rhythmus wiegen sie sich in die Richtung des Windes, strecken sich vor und zurück – in perfekter Harmonie. Der Tanz der Natur ist wahrhaft harmonisch. Alles ist grün und fliegt durch die Luft – und das ganz ohne Musik. Können Menschen ohne Musik tanzen? Menschen tanzen mit Musik, Pflanzen tanzen mit dem Wind. Aber womit tanzen diese Flammen im Kamin?
Schon seit langer Zeit finde ich den Tanz der Blätter schöner als den der Menschen. Er wirkt harmonisch, unschuldig und ruhig. Wenn ich ihm zusehe, wird mein Herz erfrischt. Als ich heute Morgen im Meditationshaus, umgeben von ausgedehnten Kiefernwäldern, die sich grün, gerade und hoch aufragend präsentieren, einige Minuten lang die tanzenden Flammen im Kaminfeuer beobachtete, fand ich plötzlich, dass auch ihr Tanz außergewöhnlich schön ist. Er ist von unschuldiger Schönheit, steigt plötzlich auf, schlängelt sich, verschwindet, erscheint dann wieder, verwandelt sich im Handumdrehen in eine andere Flamme, schwankt und steigt schließlich auf und ab wie ein Blitz. Die Kohlen darunter sind in jeder Schicht rosa, aus ihnen steigt eine goldene Flamme auf. Geistesabwesend fragte ich mich: „Woher kommen die Farben?” Die roten Kohlen sind ebenfalls schön, sie leuchten hell. Das gelbe Feuer ist ebenfalls schön und leuchtet hell. Ich weiß, dass es wunderschön ist, aber ich weiß auch, dass es mich verbrennen wird, wenn ich es berühre. Meine Haut würde verbrennen und ich würde Schmerzen haben.
Es ist schön, wenn das Feuer im Kamin brennt und uns an kalten Tagen Wärme spendet. Doch was würde wohl passieren, wenn dieser ganze Block glühender Glut frei in einem Kiefernwald tanzen würde?
Genauso verhält es sich mit unserem Geist. Er ist wie eine Flamme, die ständig tanzt, sich bewegt, verwandelt und verändert. Mal blitzt sie auf, mal erlischt sie. In buddhistischen Schriften wird der Geist oft mit einem Affen, einem Gibbon, einem Büffel, einem Elefanten oder einem Wildpferd verglichen. Um sanft und ruhig zu werden, muss er trainiert werden.
Im normalen Leben müssen wir die Gesetze und guten, traditionellen Bräuche jeder Nation befolgen, um Sicherheit und Harmonie in der Gemeinschaft zu gewährleisten. Wenn wir einen Schritt weitergehen und den Weg des Buddhismus einschlagen, haben wir Gebote. Diese Gebote bilden den moralischen Rahmen, der uns vor falschen Gedanken, Worten oder Handlungen bewahrt, die uns selbst und anderen Leid zufügen.
Unser Geist muss in den Geboten verankert sein wie die Flammen im Kamin. Sie sind lebendig, funkelnd und wunderschön. Jedes Haus braucht einen Kamin und jeder möchte sich ihm nähern, um sich zu wärmen. Wäre unser Geist ebenso in den Geboten verankert, würden alle Menschen gern in unserer Nähe sein.
Wenn unser Geist jedoch nicht im Einklang mit anderen ist und tut, was er will, kann ein einziger wütender Gedanke den gesamten Wald der Verdienste niederbrennen wie eine Flamme, die aus einem Kamin schlägt und ungehindert Häuser und Menschen zerstört.
Während ich das Feuer betrachte, schweift mein Geist ab. Ich bemerke nicht, wie es allmählich kleiner wird und schließlich erlischt. Wenn das Holz verbrannt ist, erlischt auch das Feuer. Wohin also geht das Feuer? Gibt es Feuer oder gibt es kein Feuer?
Sunyata Deutschland
Schenkenzell, den 14- 05- 2025
TN
Link zum vietnamesischen Artikel: https://tanhkhong.org/p105a4743/triet-nhu-dau-chan-tren-cat-bai-05-ngon-lua-trong-lo-suoi